Erfahrungsberichte
Marie W. berichtet
Neun Monate in Bolivien im Projekt FAMUNDI – gar nicht so leicht, alle meine Erfahrungen dieser schönen Zeit in nur wenigen Absätzen zusammenzufassen.
Als ich vor etwas mehr als einem Jahr, am 10. Oktober 2018, in das Flugzeug nach Santa Cruz stieg, hatte ich eigentlich noch überhaupt keine Ahnung, welch unglaubliche Erfahrungen mich in diesem Land erwarten und wie besonders die kommenden Monate für mich werden würden.
Ich hatte das große Glück, meine Zeit in Bolivien mit drei weiteren Volontärinnen teilen zu dürfen, mit denen ich im Laufe meiner neun Monate eine ganz besondere Beziehung aufgebaut habe und die ich ohne Zweifel nun zu meinen besten Freunden zähle. Das, aber vor allem auch die Herzlichkeit und Freude der Familien sowie Mitarbeiter von FAMUNDI erleichterten mir das Einleben in dieser für mich noch so fremden Welt.
Von Beginn an liebte ich die Arbeit im Hort, die hauptsächlich daraus bestand, den Kindern bei der Erledigung ihrer Hausaufgaben zu helfen, mit ihnen zu lernen oder ihnen ein paar neue englische Vokabel beizubringen. Die Kinder freuten sich jedes Mal sehr über die Unterstützung und ich lernte ganz nebenbei viele nützliche neue Wörter, Rechentricks sowie bolivianische Traditionen kennen.
Auch bei der Arbeit mit den Kindern im Kindergarten hatte ich schnell den Dreh raus, obwohl die liebe Rasselbande oft gar nicht so leicht zu bändigen war. Mit der Unterstützung der nervenstarken Tías (Kindergartentanten) brachten wir schlussendlich fast doch noch jedes Kind dazu, sich die Schuhe anzuziehen, die Hände zu waschen oder das Gemüse zu essen.
Ein weiterer wichtiger Punkt war die Planung und Organisation von Gebetsabenden und Festen, bei der ich trotz anfänglicher leichter Überforderung immer besser und sicherer wurde. Vor allem die noch etwas bescheidenen Spanischkenntnisse stellten mich in den ersten Wochen vor so manches Problem. „Um was geht es eigentlich in diesem Lied?“, „Wer ruft die Familien an und schafft es, sie zum richtigen Datum einzuladen?“ und „Wer von uns hat die beste Aussprache und liest diesen Text vor?“ waren Fragen, die wir uns im ersten Monat in unserer Volo-Gruppe fast täglich stellten. Doch bekanntlich macht Übung ja zum Meister und außerdem dauerte es nicht lange, bis wir realisierten, dass die Familien keine perfektionistische Vorbereitung von uns erwarteten, sondern vielmehr eine mit Liebe und Freude gestaltete Feier.
Neben dem Kindervormittag galt es auch die Jugendgruppe, in die wir während unseres Aufenthalts in Bolivien sehr viel Zeit und Energie investierten, wöchentlich vorzubereiten. Neben der schönen Zeit mit den Kindern und Mamas genossen wir den Kontakt mit den Gleichaltrigen auch sehr.
Eine wichtige und besonders schöne Aufgabe der Volontärinnen möchte ich in meinem Bericht natürlich nicht unerwähnt lassen: Die Hausbesuche. Wie der Name schon vermuten lässt, dürfen die Volontärinnen jede Woche ein paar Familien zu Hause besuchen. Meist freuen sich die Familien sehr über diese besondere Aufmerksamkeit und auch für mich war es immer wieder eine einzigartige Erfahrung und Ehre, die Familien in ihren meist sehr bescheidenen Häusern besuchen und von einer anderen Seite besser kennenlernen zu dürfen. Selten bin ich an einem Ort so liebevoll und freudig empfangen worden, wie in den Häusern und Herzen der „Famundianer“.
Im Projekt hatte ich also sehr vielfältige Aufgaben und jeder Monat brachte neue, spannende Herausforderungen mit sich, wie zum Beispiel das Organisieren des Nikolausfestes, der Weihnachtsfeier und des Kinderfestes oder etwa das Färben von über hundert Ostereiern. Langweile kennt man in FAMUNDI nicht! Was mir während meines Volontariats jeden Tag aufs Neue wieder Kraft gegeben hat, war, dass ich Spüren durfte, wie besonders meine Arbeit für die Kinder, Mamas und Familien war und welch große Unterstützung das Projekt für sie darstellt. Ich möchte aber nicht ungesagt lassen, dass es natürlich keineswegs immer leicht war, fern von der eigenen Familie im so verschiedenen Santa Cruz zu leben und täglich mit den Problemen des dortigen Lebens konfrontiert zu sein. Jedoch durfte ich an diesem Ort so viele schöne und positive Erfahrungen machen, sodass ich eigentlich nur mit einem Herzen voll Liebe an meine Monate in Bolivien zurückdenken kann. Ich kann gar nicht in Worte fassen, wie froh ich bin, am 10.Oktober 2018 in dieses Flugzeug gestiegen zu sein und weiß, für mich war es die absolut richtige Entscheidung.
Ich bin so dankbar für die Zeit mit den Kindern, Jugendlichen und Familien, die ich für immer in meinem Herzen tragen werde, und möchte in diesem Sinne auch noch einmal meine Mitvolontärinnen erwähnen, mit denen ich diese schönen Momente teilen durfte. Danke Anna, Kathi und Kathi! Und auch ein riesengroßes Dankeschön an Anna-Maria, die mir durch ihr einzigartiges Projekt FAMUNDI diesen Aufenthalt ermöglicht hat.
Angela K. berichtet
Strahlender Sonnenschein, Hitze, prasselnder Regen, überschwemmte Straßen, der Kampf mit dem ständigen Schlamm, singende Kröten, exotische Früchte, bunte Märkte und lachende Menschen, …das sind nur wenige erste Eindrücke, die ich während meines 3-monatigen Freiwilligeneinsatzes in Santa Cruz, Bolivien sammeln durfte. Santa Cruz de la Sierra ist eine Millionenstadt, in der die Kluft zwischen Arm und Reich nicht größer sein könnte: schöne Bauten, eine wunderschöne Kathedrale, gute Infrastruktur, aber nur für die Reichen. Sieht man jedoch außerhalb des Stadtkerns, erlebt man pure Armut: kein Straßensystem, kein Kanalsystem, unzureichende medizinische Versorgung (meist nur erschwinglich für Reiche) und kein soziales Unterstützungssystem.
Ich verbrachte die Wintermonate Dezember, Jänner und Februar im Armenviertel Rancho Nuevo, in der Gemeinschaft Famundi und erlebte Armut in ihren unterschiedlichsten Ausprägungen und Facetten. Nicht nur Ängste um Existenzsicherung, sondern auch Gedanken über unzureichende materielle Ausstattung (beispielsweise 2 Betten für eine 9-köpfige Familie, keine Tische oder Sessel, unzureichende Kochmöglichkeit, keine sanitären Anlagen) erschweren es vielen Bolivianern, sich mit persönlichen Lebenszielen und Glaubensfragen auseinander zusetzen. Die Gedanken kreisen oftmals rein um Überlebensfragen. Verschiedene Ansichtsweisen, Unterschiede in der Mentalität gestalten das Leben in Santa Cruz sehr spannend und herausfordernd. Nicht nur veraltete Erziehungsmethoden, sowie andere Wert- und Lebenseinstellungen der Bolivianer machten es zu einer sehr emotionalen Zeit, in der meine persönlichen Grenzen stark ausgetestet wurden.
Verschiedenste Eindrücke über das Leben, über die Menschen, die Naturschönheit, die Einfachheit strömten auf mich ein: Ich war schockiert, traurig, entsetzt über die Machtlosigkeit und Hilflosigkeit den Menschen geeignete Hilfe entgegenzubringen, sowie über das Leben in einfachsten Verhältnissen und der tägliche Kampf ums Überleben. Ich war begeistert, fasziniert, erstaunt über das dennoch strahlende Lächeln der Kinder, die Liebe und Dankbarkeit in den Kinderaugen, und die Herzlichkeit der Bolivianer, sowie die Schönheit der Natur, beispielsweise die Sanddünen in Santa Cruz.
Die Hauptaufgabe meines Freiwilligeneinsatzes lag in der Betreuung einer allein erziehenden Mutter mit ihren 8 Kindern in ihrem Lebensraum. Bereits die Busfahrt zu meiner Familie stellte sich als kleines Abenteuer heraus. Es war manchmal nicht ganz problemlos von einem Ort zum anderen zu gelangen, vor allem in der Regenzeit. Darüber hinaus zieht man als „Hellhäutige“ unendlich viele Blicke auf sich, die auch sehr unangenehm, manchmal beängstigend werden können. In der Betreuung der Familie habe ich ganz viele schöne Momente, Erlebnisse und Erfahrungen sammeln können, an die ich jeden Tag voller Freude zurück denke. Mit nur einfachen Spielen, Mandalas malen und Brettspielen hatten meine „niños“ ein Funkeln und Strahlen in den Augen, dass ich nie mehr vergessen werden. Mit offenen Armen liefen sie mir entgegen und umarmten mich, so fest und voller Freude, dass die Stärke der Umarmung Überhand gewann. Die Zeit mit ihnen war nicht immer leicht, beispielsweise durch hygienische Verhältnisse, daraus resultierender Krankheit, sprachliche Barrieren und durch ihre für Europäer manchmal schwierige Mentalität. Oftmals habe ich mir die Frage gestellt, was meine Arbeit wirklich bewirkt bzw. welchen Effekt sie auf die Familie haben würde, da die tatsächlichen Veränderungen nicht immer sichtbar sind und waren. Die schwierigsten familiären Verhältnisse, sozialen Defizite, Lernschwächen der Kinder, sowie Verhaltenauffälligkeiten machten die Betreuung oft sehr anstrengend, herausfordernd und intensiv…..auch wenn die Veränderungen vielleicht bis heute nicht wirklich bemerkbar sind, kann man den Kindern eines nicht nehmen: das Gefühl, dass jemand nur wegen ihnen kommt und ihnen seine Zeit schenkt, seine Liebe und Aufmerksamkeit.
Ich vermisse die Zeit mit den Kindern, die Herzlichkeit, Liebe und Offenheit, die mir in Bolivien entgegengebracht wurden.
Einen großen Dank an Anna-Maria, die mir meinen Aufenthalt ermöglicht hat! Danke an FAMUNDI und an all die Bolivianer, die mir diese schöne Zeit geschenkt haben! Angela K.
Kurzgeschichten von Lisa E. und Margret M.
Freitag, 8. April 2011 – Ernesto feiert seinen 9. Geburtstag.
Feiern, das heißt: wir kommen und bringen ihm einen Kuchen und ein Schwarzer-Peter-Spiel.
Ganz verwirrt bittet er uns in seinen Garten und bringt einen Tisch und Stühle.
Zwei Stühle. Mehr hat die 7-koepfige Familie nämlich nicht.
Familienbesuch am Vormittag.
Kurz vorm Gehen fragt Margret, ob sie jetzt dann kochen werden.
Keine Antwort.
Kurz später wiederholt sie die Frage – „Nein“, die Antwort. Weil sie nichts haben, dass sie verkochen könnten.
Monika ist 16, und gerade Mama geworden.
Das Kind liegt bei ihr zu Hause, aber in einem anderen Zimmer als sie selbst.
Sie will es gar nicht sehen.
Schon vor zwei Monaten hat das neue Schuljahr begonnen, jetzt ist Prüfungszeit.
Und immer wieder kommen verzweifelte Mütter, die ihren Kindern die Schulbücher nicht kaufen können…
Lisa fragt eine Jugendliche, wie’s ihr geht.
„Schlecht“, sagt sie.
Nacht für Nacht liegen sie und ihre Mutter gemeinsam im Bett und versuchen zu schlafen.
Schrecken aber ständig wieder hoch – aus Angst, dass der betrunkene Vater wieder kommt, um sie zu schlagen.
Was er auch fast jede Nacht tut.
Wir nennen´s Kurzgeschichten. Sie nennen‘s ihr Leben. …es gibt so viel Leid und wir können es nicht verstehen und niemand kann es verstehen.
Ruth Pfau schreibt: „Armut im eigentlichen Sinne habe ich deshalb nie leben können, weil mir bald klar war, dass man nur so tun kann, als ob man arm ist. Ich kann machen, was ich will – Ich werde nie arm, denn eine freiwillige Armut ist eine Salon-Armut. Das wirkliche Quälende, das Niederziehende an der Armut ist, dass sie aufgezwungen ist.“
(Ruth Pfau „Was mein Leben trägt – Wer keine Tränen hat…“)